Eine Woche Lernen

bei Ralf Schmitt

Juni 2020, Linenhof, Kreis Dithmarschen (D)

Eine Reise raus aus meinen Komfortzonen


Endlose Weiten. Bunte Kühe. Windräder und sogar ein bisschen Meeresluft. Auf jeden Fall unbekanntes Terrain für mich. Eine Woche durfte ich als Wochenschülerin bei Ralf und Mareike in Osterrade, einem kleinen Dorf irgendwo im Nirgendwo zwischen Hamburg und St. Peter Ording, verbringen. Pferde gibt es hier an jeder Ecke. Reitkunst hingegen findet man wohl nicht so oft.

Ralf und ich hatten uns bereits im Vorfeld über meine Wunschthemen ausgetauscht. Da ich meine Pferde aus Rücksicht prinzipiell nicht durch ganz Deutschland zum Unterricht fahre, nutze ich mindestens einmal jährlich die Chance auf Weiterbildung mit Lehrpferden. Das gibt mir die Chance, mich ganz auf mich und meine Primärhilfen zu konzentrieren: Meinen Körper und den Sitz.

Die Situation wie wir sie heute erleben, nämlich, dass unerfahrene Reiter unerfahrene Pferde reiten und dazu gezwungenermassen auch noch ausbilden (müssen), kannten die Menschen zu Zeiten der alten Meister nicht. Nicht umsonst lernten die feinen Herrschaften bereits in jungen Jahren das Reiten auf hochausgebildeten Schulpferden (im Sinne von einem fertigen Reitkunstpferd, nicht was die meisten heute unter einem Schulpferd verstehen). Reiten gehörte nicht nur zum guten Ton, sondern war auch von grosser gesellschaftlicher Wichtigkeit und so verbrachte der junge Kavalier unzählige Stunden im Sattel an speziell eingerichteten Reitakademien, denn ein guter Reiter galt auch als ein guter Adelsmann. Eines hatten uns die Reiter dieser vergangenen Zeit weit voraus, und zwar die Möglichkeit zum Schulen von korrekten Bewegungsabläufen und gleichzeitig kognitiven Abspeichern von selben. Somit hatte jeder Reitanfänger von Anfang an die Chance auf einem ausbalancierten Reitpferd Bewegungen einfach erstmal nur zu fühlen. Wie soll sich ein losgelassenes Pferd anfühlen, welches schadlos seinen Reiter trägt?  Zur damaligen Zeit war es gang und gäbe, einen unerfahrenen Reiter von Anfang an auf ein piaffierendes Pferd zu setzen bis er verstanden und verinnerlicht hatte wie sich ein geschulter Trab anfühlte. Er hatte ein konkretes inneres Bild im Kopf. Dementsprechend konnte er diese Lektionen später relativ mühelos nachreiten.

 

Ich glaube, jeder der sich an die eigenen ersten Reitstunden im örtlichen Reitverein erinnert, wird schon beim Gedanken schwitzige Hände bekommen, spätestens, wenn er an die rundenlangen Odysseen von Leichttraben ohne Steigbügel auf brettharten, unausbalancierten, explosiven und nörgeligen „Schul“pferden (gemeint wohl leider eher Übungsobjekte) zurückdenkt. Über die Qualität dieser Reitstunden möchte ich an diese Stelle gar kein Wort verlieren. Mit mühelosen Tanz zwischen Reiter und Pferd hatte das - jedenfalls bei mir - nix zu tun. Wer konnte trotz jahrelanger «Ausbildung» an der Longe schon mehr als gerade so zu verhindern, dass er nicht direkt vom Pferd fällt. Tatsächlich kommen viele Reiter gar nie über dieses Niveau hinaus aber das ist nochmal ein anderes Thema.

Die Chance auf guten Reitunterricht auf wirklich weit ausgebildeten, feinen Schulpferden ist heute rar gesät. Deshalb bin ich Ralf und Mareike sehr dankbar, dass ich in dieser Woche mit ihren Pferden arbeiten durfte.

Nebst dem Vorteil, dass ich mich voll und ganz auf mich selbst und meinen Reitersitz (bzw. den Körper in der Bodenarbeit) konzentrieren kann, gibt es mir die unglaublich wertvolle Chance, aus meiner persönlichen Komfortzone herauszukommen.

Ich denke jeder kennt das: Kennt man einander gut, ist die Kommunikation aufeinander abgestimmt. Ich weiß zum Beispiel genau wie mein Partner tickt, dass nicht alles was er sagt immer auch genau so gemeint ist. Ich weiß auch, wann ich ihn besser in Ruhe lasse oder was er mit bestimmten Blicken und Gesten sagen will. Man kennt sich eben. So ist es auch mit den Pferden. Ich kenne meine Pferde, ihre Bewegungen, ihr Energielevel genauso wie sie mich genau kennen und lesen können. Das ist einerseits ganz wunderbar und vertraut, anderseits schleichen sich hierbei Fehler ein. Meine Pferde versuchen zwar meine Fragen immer richtig zu beantworten und reagieren meist auch korrekt auf meine Hilfen, obwohl diese objektiv betrachtet vielleicht gar nicht immer zu 100 % klar sind. Und manchmal gibt es das Gefühl von Missverständnissen, es entsteht für einen Moment ein Knoten oder es fehlt irgendwie der Feinschliff. Zeit, sich selbst, seine Hilfengebung und Bewegungskonzepte zu hinterfragen.

Ralf hat ein extrem gutes Gespür fürs Detail. Er findet jede einzelne Steifheit in meinem Körper. Spanne ich den kleinen Zeh an, kommt prompt eine Ermahnung. Vergesse ich zu atmen, spannt Stute Livi sich wie ein Pfeil und zackelt durch die Halle. Schaffe ich es, mental zu entspannen und durch meinen gesamten Körper hindurch zu atmen und in allen Gelenken Bewegung zuzulassen wird sie weich und sucht vertrauensvoll zu meiner Hand. Hier beginnt Kommunikation.

Livi lässt sich erst fallen, wenn ich es schaffe, im ganzen Körper locker zu schwingen und meine Atmung fliessen zu lassen
Livi lässt sich erst fallen, wenn ich es schaffe, im ganzen Körper locker zu schwingen und meine Atmung fliessen zu lassen

Richtig Laufen will gelernt sein....

Besonders mein Laufverhalten am Boden zeigte mir Ralf immer wieder auf und erinnerte mich daran, mit lockerer Hüfte einen gleichmäßigen Takt und ein regelmässiges Tempo einzuhalten. Denken wir mehr in Richtung Versammlung muss diese Dynamik im Körper unbedingt erhalten bleiben. Ich kaufte mir am darauffolgenden Tag direkt ein Paar Barfußschuhe, da mich die Reaktion von Titus auf mein verändertes Bewegungsmuster an der Longe total überrascht hat. Er zeigte auf einmal weiche, durchschwingende, schreitende Schritte als ich es endlich schaffte, Ralfs Tipps für die lockere Hüfte in Kombination mit Erhalt der Energie in Richtung Versammlung umzusetzen. Barfusslaufen kann dabei helfen, unsere Füsse mehr zu spüren, unser Bewusstsein auf unsere eigenen Bewegungen zu lenken und die Energie durch den ganzen Körper fliessen zu lassen (nur bitte nicht am Pferd tragen!).

 

In den eigenen Körper hineinspüren: Wo sind Steifheiten, wo finde ich Balance, sind meine Schulter entspannt, ist die Hüfte locker oder bleibt die Energie irgendwo hängen? [Foto: Jasmin Hüttmann]
In den eigenen Körper hineinspüren: Wo sind Steifheiten, wo finde ich Balance, sind meine Schulter entspannt, ist die Hüfte locker oder bleibt die Energie irgendwo hängen? [Foto: Jasmin Hüttmann]

 

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«Die Hand steht still und bewegt sich doch!»

altes deutsches Reitersprichwort,

Verfasser unbekannt

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Die Hand ihrer wichtigsten Funktion zuführen...

Beim Reiten ist es vor allem meine Hand, die ihren Senf immer und überall dazu geben möchte. Wir Menschen möchten immer alles anfassen, halten, formen. Ist ja auch so schön einfach. Was dabei aber verloren geht ist die Funktion der Hand als Informationswerkzeug. Spüre ich also in der Hand, dass mir ein Hinterbein ausfällt, den Schwung durch die Wirbelsäule nicht mehr schön nach vorne durchlässt, ist es selbstverständlich schnell und einfach, am Pferdeschädel etwas korrigieren zu wollen. Da die Hand aber auch eine sehr starke Hilfe ist, laufen wir Gefahr, dass wir durch ihren Einsatz nicht die Leichtigkeit erreichen, die wir erreichen können, wenn die Hand diese Information zwar wahrnimmt, die Ursache aber mit der Primärhilfe Sitz da behoben wird, wo sie entstanden ist. Brauche ich zum Beispiel mehr Durchschwingen des inneren oder äußeren Hinterbeins hilft vielleicht auch schon der bloße Gedanke an etwas mehr Schulter- oder Kruppeherein. Vielleicht brauche ich auch etwas mehr Impuls vom Oberschenkel oder ein kurzes Eindrehen der Fußspitze, um dem Pferd in einem Moment zu mehr Balance zu verhelfen. Immer nach dem Motto: So wenig wie möglich, so viel wie nötig. Und dabei dem Pferd auch Raum geben, sich an eine bestimmte Stelle hinein zu entspannen. Und plötzlich brauchen wir die Hand gar nicht mehr im Einsatz als Sekundärhilfe, sondern immer mehr als feines Messgerät wo uns Bewegungsfluss auf dem Weg von hinten nach vorne verloren gegangen ist. Warmblutwallach Conquest bedankt sich laut hörbar mit einem tiefen Ausatmen, als wolle er sagen „jetzt hat sie es verstanden“. Alte Muster auflösen ist wahrlich nicht einfach. Seine Komfortzone zu verlassen und sich von fremden Pferden mal zeigen lassen, wo Hilfen des eigenen Körpers klar sind und wo die Kommunikation noch ausbaufähig, ist super spannend, Augen öffnend und zugegebenermassen manchmal auch etwas unbequem.

 

Eine offene, gebende und leichte Hand ist die Voraussetzung für ein Hineinfühlen in den Pferdekörper
Eine offene, gebende und leichte Hand ist die Voraussetzung für ein Hineinfühlen in den Pferdekörper

Die Woche bei Ralf hat mir vor allem eines gezeigt: Es lohnt sich, bei allem was wir tun, ins Zuhören zu gehen. Nicht den einfachen Weg über das Benutzen von Sekundärhilfen (Gerte, Zügel, Stimme, Schenkel und Hand) wählen, um Symptome zu bearbeiten, sondern sich auf Ursachenforschung begeben. Gibt es Steifheiten beim Pferd und beginnen diese vielleicht bereits in meinem eigenen Körper? Oder sogar auch schon in meinem Kopf? Warum fällt mir das Gewicht mal nach zur äußeren Schulter oder zur inneren? Ist das was ich vorne meine korrigieren zu wollen, nicht bereits ursächlich in der Hinterhand? In der Hilfengebung geht es immer noch feiner, detaillierter und mit weniger Aufwand. Irgendwann reicht auch nur ein Gedanke und eine Frage wird vom Pferd in der schönsten Form beantwortet. Wer würde schon denken, dass eine minimale Veränderung eines Fingers in der Handhaltung der Gerte eine enorme Veränderung im eigenen Körper verursacht. Der Teufel steckt im allerkleinsten Detail und Ralf sieht alles ;)

Dem Pferd Raum für Entwicklung geben, fühlen und nachspüren. Einhändig geritten im Galopp geht die Energie von meiner Körpermitte aus, die Hand begrenzt lediglich in einem flexiblen Rahmen
Dem Pferd Raum für Entwicklung geben, fühlen und nachspüren. Einhändig geritten im Galopp geht die Energie von meiner Körpermitte aus, die Hand begrenzt lediglich in einem flexiblen Rahmen

 

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«Es gibt keine Probleme, es gibt nur Möglichkeiten zur Weiterentwicklung!»

Ralf Schmitt

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Lerne Deine Gedanken zu kontrollieren und zu lenken...

Gedanken und innere Bilder sind in der Arbeit mit Pferden als extrem feinfühlige Wesen ein mächtiges Werkzeug. Pferde können mit einem Organ unter ihrer Oberlippe unsere Angst riechen. Sie sind Meister im Gesichtsmimik lesen. Sie spüren Emotionen schon bevor wir uns ihrer selbst bewusst sind. Klar definierte innere Bilder helfen, in eine noch feinere und scheinbar unsichtbare Kommunikation mit dem Pferd zu treten. Es kann daher schon genügen, sich vorzustellen, wie eine Hilfe im Körper aussehen könnte. Unser Körper wird automatisch und unterbewusst die richtigen Muskelgruppen aktivieren und so bereits dem Pferd signalisieren, was wir möchten. Oftmals reicht eine Visualisierung bereits aus, um auf Bewegungen Einfluss zu nehmen. Erst nachher kommt unsere Primärhilfe Sitz (vis-a-vis unser Körper am Boden) aktiv zum Einsatz und erst dann, wenn diese nicht ausreicht, kann eine Sekundärhilfe dem Pferd zusätzlich erklären, was wir genau meinen. Blockiert unser Kopf, blockiert unser Körper. Das ist auch der Grund, warum wir unter Stress niemals losgelassen sein können. Stress im System kann aber auch bedeuten, sich selbst zu sagen, dass eine bestimmte Sache nicht funktioniert. Glaube an Dich und Dein Pferd, es wird funktionieren! Wenn gerade etwas schiefläuft, sei dankbar dafür, dass Du aus diesem Fehler lernen darfst und deinen Erfahrungsschatz ausbauen kannst.

Wie könnte eine Hilfe in meinem Körper aussehen? Titus setzt meine Hilfe im Körper um wie ein Spiegel. [Foto: Jasmin Hüttmann]
Wie könnte eine Hilfe in meinem Körper aussehen? Titus setzt meine Hilfe im Körper um wie ein Spiegel. [Foto: Jasmin Hüttmann]

 

Im Zusammensein mit Pferden geht es nicht um Perfektion. Es geht nicht um irgendwelche Lektionen. In der Zeit, die wir mit unseren Pferden verbringen geht es nur um eins: Kommunikation. Energieaustausch. Gedanken zentrieren. Zeit schön verbringen. Die Welt um uns herum vergessen. Suche die Reitkunst in jeder einzelnen Einheit mit Deinem Pferd, selbst wenn es nur Sekunden sind. Fokussiere Dich nicht auf die Dinge, die noch nicht so gut funktionieren, sondern suche genau nach diesen wenigen Sekunden Harmonie und speichere dieses Bild ab, um es am nächsten Tag wieder hervorzuholen. Sei dies beim Reiten, in der Bodenarbeit, beim Spazieren oder beim freien Zusammenspiel wie in meiner letzten Einheit mit Mareike und ihrer Stute Shiva. Wir können diese Momente nicht festhalten oder erzwingen, wir sollten sie in genau der Sekunde leben, in denen wir sie geschenkt bekommen.

 

 

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«Wir müssen mit unseren Pferden nur eins: Zeit schön verbringen!»

Bent Branderup

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Danke Ralf und Mareike für eine bereichernde, inspirierende Woche mit euch und euren Pferden.

Wer neugierig auf den Unterricht mit Ralf und Mareike und ihren Lehrpferden geworden ist, findet alle Infos auf ihrer Website: www.linenhof.com.

 

Ich kann übrigens die Kombi mit etwas Urlaub an der Nordsee sehr empfehlen, Büsum, Nordfriesland und St. Peter Ording sind nur einen Steinwurf entfernt. Wer etwas mehr Trubel mag, ist auch Hamburg nicht weit.

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