Akademische Reitkunst mit Bent Branderup

"Die Arbeit mit den Paraden"

15./16. Februar 2020, Tannenhof, Schopfheim (D)

Auf ihrer schönen Anlage im noch schöneren Schwarzwald empfing uns Anja Hass zum zweitägigen Workshop mit Bent Branderup zum spannenden Thema «Die Arbeit mit den Paraden».

 

In drei Theorieblöcken entführte uns Bent mit seinem umfangreichen Fachwissen neben vielerlei anderem Input in das Thema von Harmonie, Balance und der Vorstellung von einem Tanz zwischen Pferd und Reiter.

 

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«Die Parade ist die Abwesenheit jeglichen Widerstands»

[Bent Branderup]

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Dieses schöne Zitat spiegelt eigentlich alles wieder, was wir zur Parade wissen müssen. Doch was ist eigentlich ein Widerstand, wo kann dieser entstehen und wie reagieren wir darauf?

 

Zunächst einmal müssen wir dem Pferd als Basis eine lockere Formgebung erklären, indem wir es eine Haltung  einnehmen lassen, in welcher sich alle Wirbelkörper der Wirbelsäule in einer physiologischen Weise zueinander befinden. Besonderes Augenmerk ist hier auf die richtige Rotation des Brustkorbes, nämlich nach innen unten und außen oben, zu legen. Hier können wir schon auf die ersten Widerstände stoßen: Springt  ein einzelner der Wirbelkörper aus der physiologischen Reihe oder rotiert der Brustkorb durch bspw. eine verbiegend einwirkende Hand auf die falsche Seite oder wird eine Schulter schwer, kann bereits keine physiologische Kraftübertragung vorn hinten nach vorne mehr stattfinden. Sind Genick, Hals und Schultern locker, haben wir durch die korrekte Platzierung des Brustkorbes den flüssigen Vorgriff der Hinterbeine ermöglicht und sind die Schultern gelöst, haben wir bereits die erste Parade verstanden. Bent zitiert hier den altbekannten Guèriniere und betont: Das Nachgeben zur Hand hin ist tatsächlich die schwierigste aller Paraden, weil man diese Hilfe nicht verstärken kann. Man kann das Pferd nicht zur Entspannung «zwingen». 

 

Die zweite Parade fragt das Pferd nach dem Verlagern seines Schwerpunktes Richtung Hinterbeine, welche wir durch die vorherige Vorbereitung mit der ersten Parade bereits nach vorne gearbeitet haben, sodass wir diese nun mühelos mit mehr Gewicht belasten können. Schwingt das Pferd also bereits taktmäßig über den Rücken zur Hand hin suchend nach vorne, können wir das Pferd fragen, ob es seinen Schwerpunkt hin zu einer horizontalen Balance verschieben kann ohne das Tempo verändern.

 

Die zweite Parade fängt die Vorhand somit da auf, wo sie nach vorne fällt und stellt die Balance (wieder) her. Die Hilfe ist aber nur dann eine Hilfe, wenn sie auch geholfen hat, d.h. sofern das Pferd sie versteht. Solange das Pferd jedoch auf die Vorhand fällt, können wir diese nur lösen, um den Vorgriff der Hinterbeine wieder zu ermöglichen. 

 

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«Das Pferd wird im Gehen von der Natur bewogen, sich der Stärke seines Rückens, seiner Hanken und seiner Sprunggelenke zu bedienen, um den gesamten Körper nach vorwärts zu schieben. Da seine Schultern und Vorderbeine diese Bewegung abstützen müssen, liegt das Gewicht überwiegend auf der Vorhand und das Pferd ist zwangsläufig schwer in der Hand. Um ein Pferd auf die Hanken zu setzen, und ihm diesen Fehler zu nehmen, auf der Vorhand zu gehen, habend die Reiter ein Mittel in der Parade, der halben Parade und im Rückwärtsrichten gefunden».

[Guèriniere]

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Die dritte Parade setzt das Pferd auf die Hanken bis hin zum Maximum der Beugefähigkeit der grossen Gelenke.  Im Stand kommen wir dann mehr und mehr zu einer Schulparade, die wir versuchen können mit in die Bewegung zu nehmen, jedenfalls in dem Rahmen wie dies mit Leichtigkeit möglich ist. Die Parade muss denselben Weg von vorne nach hinten zurücklegen wie der Rückenschwung von hinten nach vorne. 

 

Anja zeigte uns in ihrer Arbeit mit ihren beiden Pferden zuerst am Boden den Weg, den zuerst der Schwung von hinten nach vorne durch den Pferdekörper beschreitet und dann fliessend die zweite und dritte Parade ähnlich einem Tai-Chi-Kreislauf von vorne nach hinten durchfliesst, um dem Pferd zu einer viel besseren Balance und dem effektiven Einsatz seiner Hinterfüsse zu verhelfen. Auch zwei ihrer Schüler zeigten sehr gefühlvolle und dem Pferd gegenüber wertschätzende Arbeit, was mir sehr gefallen hat.

 

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«Wenn man ein Pferd mit dem Zügel durchhält, während es die Hinterhand nach vorne untersetzt, so beugt es die Hinterbeine in den Hanken, die Vorhand aber hebt es in die Höhe, so dass den Gegenüberstehenden Bauch und Schamteile sichtbar werden. Man muss aber auch, wenn es dies tut, ihm die Zügel hingeben, damit es das, was das Schönste am Pferde ist, gerne tut.»

[Xenophon]

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Bent erklärt, habe man dieses Zitat seinem gesamten Inhalt nach verstanden, habe man gleichzeitig den Inhalt der ganzen Reitkunst begriffen. Leider dauert das Verstehen und die korrekte Umsetzung zumeist mehr als ein ganzes Reiterleben ;)

 

Sicherlich ist vielen noch der Reitunterricht aus vergangenen Tagen in Erinnerung, in dem der Reitlehrer in kavalleristischer Manier die (halben und ganzen) Paraden befohl. Nur was genau ist sie denn nun, diese Parade? Eines ist klar und oft fehlinterpretiert: Die Parade ist nicht das, was die Hand macht. Letztlich ist die Parade das, was wir dem Pferd erklären, was sie bedeutet. Deswegen kann es auch keine vorgefertigte Definition geben. Reitkunst fängt da an, wo das Pferd unsere Vorschläge interpretiert und versteht. Wenn diese Vorschläge aus dem Pferd langfristig gesehen kein besseres Reitpferd machen, waren alle vorangegangenen Lektionen umsonst.

 

Die Verwendung der Paraden kann in verschiedenen Abstufungen erfolgen. So kann die halbe Parade in einem Aufmerksammachen / Hinhorchen des Pferdes münden (bspw. um einen Wechsel einer Gangart einzuleiten), eine ¼ Parade kann durch den Reiter wahrgenommene, erst gerade entstehende Widerstände beheben; die Abstufungen sind meines Erachtens beliebig reduzierbar bis wir lediglich von gedanklichen Energieübertragungen sprechen könnten. Die ganze Parade führt jedenfalls zum Halten des Pferdes bzw. zur gleichzeitigen Belastung beider Hinterbeine aus der Bewegung heraus (auch im Stand). Es geht uns darum, den Schwerpunkt von Reiter und Pferd in Harmonie zu bringen. Das was wir zur Herstellung der Harmonie brauchen, ist dann die sogenannte Parade. Keine Hilfe ist so stark wie eine Schwerpunktverlagerung. Erst wenn die Hilfe vom Sitz nicht verstanden wurde, darf eine Sekundärhilfe und / oder die Hand eine Parade mal unterstützen. Ausgebildet werden muss beim Reiter also das Gefühl für Harmonie, wann sie vorhanden ist, wann sie verschwindet und wie sie wiederhergestellt werden kann.  

 

Bent liess uns darüber hinaus auch an seinen aktuellen Erkenntnissen und Forschungsergebnissen teilhaben, was von den Zuschauern mit grossem Interesse aufgenommen wurde. So warnte er davor, das Wissen der alten Meister 1:1 auf unsere heutigen Pferde übertragen zu wollen und kam damit auf die erst vor Kurzem festgestellten anatomischen Veränderungen der heutigen Pferde zu sprechen. Die Forscherin Sharon May Davis fand in unzähligen Sezierungen von modernen Pferden heraus, dass gewisse Ligamentverbindungen (= bänderartige Verbindungen des Knochenskeletts) in der Halswirbelsäule (Bereich der Wirbelkörper C5-C7) unserer heutigen Pferde nicht mehr vorhanden sind bzw. mehr und mehr verschwinden und somit eine Instabilität entstanden ist. So kann es passieren, dass wenn wir bestimmte Informationen über den Schädel des Pferdes vermitteln wollen und dort eine gewisse Manipulation stattfindet, zum einen dieser Teil (sprich Schädel bis Wirbelkörper ca. C7) unabhängig vom Rest des Körpers funktioniert (und somit eine Übertragung der Information durch das ganze Pferd verunmöglicht) und zum anderen der Brustkorb viel schneller zwischen den Schultern absackt als dies noch bei den Pferden der alten Meister der Fall war (Stichwort auch: Hypermobilität, Arthrosen der HWS). Das macht es noch notwendiger, den Fokus unserer Arbeit vermehrt auf die pädagogische Vermittlung und das körperliche Verständnis von Leichtigkeit an unsere Pferde zu legen.

 

Alles in allem war es ein hochspannendes und lehrreiches Wochenende auf dem Tannenhof und ich komme sehr bestimmt wieder :)

 

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